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Now Boarding: die Geschichte der Airport
von Lukas Schneider

Am 13. November 1961 wurde am Londoner Flughafen das Oceanic-Terminal zur Abfertigung von Langstreckenflügen eingeweiht. 1979 brachte der Ravensburger Verlag ein Spiel heraus, das Kindern beim Zählen lernen helfen sollte. Weihnachten 2023 stieß ich auf ein Exemplar dieses alten Spiels. Die Schrift auf der Schachtel sprang mir ins Auge – und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

Die Buchstabenformen ähnelten jenen der Helvetica. Da die Ecken gerundet waren, dachte ich zunächst, es könnte sich um die Helvetica Rounded handeln. Die Schrift hatte jedoch eine wesentlich größere x-Höhe, die Versalien waren weniger breit, und außerdem hatten die Glyphen weiße Tupfen, die einen Glanzeffekt erzeugten. Diese Schrift hatte ich noch nie gesehen. Mein erster Verdacht war, dass es sich um eine Letraset-Schrift handeln könnte. Dies hätte gut zum Erscheinungsjahr des Spiels gepasst. Leider konnte ich in einem Katalog dieses Herstellers von Anreibeschriften keinen Treffer finden. Also wandte ich mich an Florian Hardwig, der mir in der Vergangenheit schon öfters bei der Schriftrecherche helfen konnte. Florian gelang es, die mysteriöse Schrift aufzuspüren. Er fand sie in einem Katalog, der 1985 von der Stuttgarter Layout-Setzerei Stulle herausgegeben wurde. Sie heißt Airport Spotlight und ist eine Ableitung der Airport, einer Schrift, die Matthew Carter Anfang der 1960er Jahre für die Beschilderung des Londoner Flughafens entworfen hatte. Der Stulle-Katalog enthielt auch weitere Varianten, wie etwa die Airport Round, die schablonenartige Airport Stamp – und Carters Originalentwurf, die hier als Airport halbfett aufgeführt ist.

Bis dahin hatte ich mich mit der Geschichte des Londoner Flughafens – seit 1966 als Heathrow Airport bekannt – und seiner grafischen Gestaltung nicht wirklich eingehend beschäftigt, nicht zuletzt, weil es kaum Material dazu gibt. Meines Wissens findet der Schriftentwurf lediglich in zwei Büchern Erwähnung. Bei dem einen handelt es sich um „Airport Wayfinding“ von Heike Nehl und Sibylle Schlaich von 2021. Das andere ist „A Sign System Manual“ von Theo Crosby, Alan Fletcher und Colin Forbes aus dem Jahr 1970. Das Thema faszinierte mich und ich begann, mich darin zu vertiefen. In einem ersten Schritt besorgte ich mir die beiden Bücher. Das neuere Buch war leicht zu beschaffen, das ältere dagegen nicht: Es gilt heute als Designklassiker und ist zu einem begehrten Sammlerobjekt geworden. Wenn mal ein Exemplar auftaucht, wird gleich ein Preis von mehreren hundert Euro aufgerufen. Trotz des mageren Angebots gelang es mir schließlich, ein Exemplar relativ günstig bei einem privaten Verkäufer in England zu ergattern. Dank der Hilfe eines guten Freundes wurde das Buch per Zug von London nach Antwerpen gebracht und mir von dort aus nach Deutschland geschickt. Die Mühe hat sich mehr als gelohnt. Der Inhalt und die typografische Gestaltung des Buches sind großartig. In einem nächsten Schritt nahm ich Kontakt zu Matthew Carter auf, um mehr über seine Airport und deren Entstehungsgeschichte zu erfahren.

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In den Nachkriegsjahren wuchs die kommerzielle Luftfahrt rasant. Dies hatte zur Folge, dass auch die Flughäfen leistungsfähiger werden mussten. Nach Gebäude 1 „Europa“ im Jahr 1955 und Gebäude 2 „Britannic“ im Jahr 1956 wurde in London 1961 ein drittes zentrales Abfertigungsgebäude gebaut. Es wurde „Oceanic“ genannt (und später als Terminal 3 bekannt) und sollte Heathrow zu einem Vorzeigeort für das neue Großbritannien machen. Der architektonische und grafische Stil des prestigeträchtigen Projekts war kühn und modern und entsprach dem Jet Age. Der aufstrebende Designer Colin Forbes (1928–2022) wurde mit der Gestaltung der Schilder betraut, in Zusammenarbeit mit dem Architekten Frederick Gibberd (1908–1984). Forbes wiederum beauftragte Matthew Carter (geb. 1937), der zu dieser Zeit freiberuflich in London tätig war, mit dem Entwurf einer serifenlosen Schrift. Die Idee war, die Akzidenz-Grotesk – im angelsächsischen Raum unter dem Namen Standard bekannt –als Ausgangspunkt zu nehmen und sie so zu überarbeiten, dass sie sich als Schilderschrift eignete. Laut „A Sign Systems Manual“ erfüllt die Akzidenz-Grotesk „die Kriterien an einfache, kräftige und leicht erkennbare Buchstabenformen mit einer individuellen, nicht aber aggressiven Persönlichkeit, die man in dieser Form bei einigen der technischeren Alternativen nicht findet“.
Carter erinnert sich: „Die Arbeit am Flughafenalphabet für Colin Forbes war sehr unkompliziert. Er bat mich, den Entwurf an die Akzidenz anzulehnen, die Abschlüsse aber waagrecht zu halten. Die einzige Änderung, die sich während des Entwurfsprozesses ergab, war die Entscheidung, die x-Höhe der Kleinbuchstaben zu vergrößern, indem die Ober- und Unterlängen verkürzt und die Versalien fotografisch verkleinert wurden.“ Der Grund für die Anhebung der x-Höhe war, die Lesbarkeit zu maximieren, „da Schilder oft aus einer gewissen Entfernung und im Allgemeinen bei hoher Geschwindigkeit gelesen und erkannt werden müssen“. Dass alle Striche horizontal bzw. vertikal enden, „wurde als optischer Vorteil für großflächig verwendete Wörter erachtet“. Die Ableitung von der Akzidenz ist in Zeichen wie 2, y und J noch deutlich zu erkennen. Carter vereinfachte die Buchstabenformen und gab ihnen eine gleichmäßigere Modulation, in einer Strichstärke, die zwischen dem halbfetten und dem fetten Schnitt der Akzidenz liegt.

In vielerlei Hinsicht spiegeln die an der Akzidenz vorgenommenen Anpassungen jene Überlegungen wider, die auch bei der Entwicklung der Helvetica angestellt wurden. In einem Interview für Computer Arts sagte Carter dazu: „Wenn man sich die Airport heute ansieht, könnte man meinen, sie sei ein Abklatsch der Helvetica. Aber in London war uns die Helvetica im Jahr 1961 noch nie untergekommen, obwohl sie bereits 1957 bei der Haas’schen Schriftgießerei im schweizerischen Basel herauskam. Selbst wenn wir sie gekannt hätten und sie in London verwenden wollten, hätten wir in ein Flugzeug steigen und nach Basel fliegen müssen, um sie dort setzen zu lassen, denn die britische Schriftsetzerszene war damals derart konservativ, dass solche Schriften schlicht nicht zu bekommen waren.“

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Flight AMS 1723 Gate open

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Photography: Ingmar Kurth www.ingmarkurth.com

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Errors and omissions excepted.

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Ausgabe 155 der Zeitschrift „Design“ (1961) zeigte ein Muster mit einem Figurenverzeichnis des fertigen Alphabets. Dasselbe Muster wurde auch in Ausgabe 5 von „Typographica“ (1962) und in der Publikation „17 Graphic Designers London“ (1963) abgedruckt. Während man die Schilder für das „Oceanic“-Terminal aus Fotokopien zusammenklebte, wurde die Schrift auch als Fotosatz-Font produziert und von kommerziellen Setzereien angeboten. Unter dem Namen Airport erschien sie in Katalogen der Firma Photoscript von 1965 und 1970, wobei sie in letzterem als Exklusivschrift gekennzeichnet war. Sie war ebenfalls bei Typeshop (1973) und Berthold (1974, für deren Staromat-Titelsetzgerät) erhältlich. Interessanterweise unterscheidet sich die Fotosatz-Fassung in einigen Details von dem frühen Muster. Dies betrifft vor allem die Buchstaben a, k/K und r. Bei a ist der Übergang von Bauch zu Stamm leicht gebogen. Bei k/K treffen die Schenkel nicht in einem Punkt zusammen – so wie bei der Akzidenz, und anders als bei der Univers. Der Bogen des r ist nicht senkrecht, sondern waagrecht beschnitten, was eine Wasserhahn-ähnliche Form zur Folge hat. Zu weiteren, weniger augenfälligen Unterschieden zählen die abgesenkten Balken in e und f sowie der kürzere Anstrich in der Ziffer 1. Als ich Matthew Carter zu den verschiedenen Versionen befragte, nahm er an, dass er die Fassung für die Flughafenbeschilderung wahrscheinlich gezeichnet hatte, bevor einige finale Änderungen eingearbeitet wurden. „Zur gleichen Zeit, als 1961 das Flughafenalphabet in Arbeit war, stellte Colin Forbes mit Alan Fletcher (mit dem er sich ein Büro teilte) und Bob Gill Überlegungen zur Gründung einer neuen Firma an, Fletcher Forbes and Gill. Es war Bob Gill, der die sogenannte Wasserhahn-Form für r anregte. Die Schilder am Flughafen zeigten das ursprüngliche r, Bobs r aber wurde in der späteren Version berücksichtigt, so wie sie in ‚A Sign Systems Manual‘ von 1970 zu sehen ist.“ In diesem Buch ist auch eine weitere Anwendung der Airport für einen ähnlichen Zweck dokumentiert. Der Designer James Sutton wählte die Schrift für das Wegeleitsystem der University of Essex aus. Wie bei Forbes’ Schildern für den Londoner Flughafen verwendete auch er die frühe Version mit dem senkrecht beschnittenen r. Er fertigte zusätzlich Outline- und Schablonenvarianten für besondere Anforderungen an.

Nach 1970 verschwand die Airport weitgehend von der Bildfläche. Sie war zwar weiterhin für den Fotosatz erhältlich, stand aber im Schatten der stilistisch ähnlichen Helvetica, die mehr als nur einen einzigen Schnitt bot. Zwar erweiterte die 1985 von Stulle gezeigte Version die Palette der Airport. Allerdings war die Bold amateurhaft gezeichnet. Und die anderen Ergänzungen (Round, Spotlight, Stamp) stellten lediglich Spielereien für den Displaybereich dar. Es ist nicht klar, wer für diese Ableitungen verantwortlich zeichnet. Wahrscheinlich sind sie intern bei Stulle entstanden. Carter waren sie jedenfalls nicht bekannt, bevor ich sie ihm zeigte.

Meine digitale Interpretation gibt es in zwei Ausführungen, Airport und Airport X. Beide Unterfamilien umfassen je sieben aufrechte Schnitte mit übereinstimmenden Zeichensätzen und OpenType-Funktionen. Begonnen habe ich mit dem fettesten Schnitt, Airport Bold, der sich eng an Carters Originalentwurf hält, und habe diesen in der Folge um leichtere Fettegrade ergänzt. Es handelt sich jedoch nicht um eine direkte Digitalisierung: Ich habe mir ein paar Freiheiten hinsichtlich der Proportionen und der Größe der Öffnungen erlaubt und mich auch für eine gleichmäßigere Modulation entschieden, was insbesondere bei g und S gut zu sehen ist. Die Airport X hat eine kleinere x-Höhe. Dadurch wird eine der von Carter und Forbes vorgenommenen Anpassungen rückgängig gemacht und die Schrift wieder näher an die Akzidenz gerückt. Vor allem aber eignet sie sich dadurch für die Verwendung in weniger großen Größen. Die Unterfamilien sind jeweils auch als Variable Font verfügbar. Zudem gibt es einen dritten Variable Font, der sowohl die Airport als auch die Airport X umfasst und über eine zweite Achse die Feineinstellung der optischen Größe erlaubt. Was die Buchstabenform betrifft, so folgt meine Airport der frühen Version, die für die Originalschilder verwendet wurde, mit dem „normalen“ r, dem Univers-artigen k/K und dem nicht gebogenen a. Die anderen Formen, die in der Fotosatz-Version zu finden sind, werden als Alternativen angeboten.

Selbstverständlich bieten die Fonts zahlreiche Akzent- und Sonderzeichen und unterstützen somit viele auf dem lateinischen Alphabet basierende Sprachen. Es gibt diverse Ziffernarten, internationale Währungszeichen und andere Symbole. Inspiriert durch den ursprünglichen Anwendungsbereich habe ich eine ganze Reihe von Pfeilen gezeichnet. Desweiteren enthalten sind in Kreise und Quadrate gefasste Zeichen, jeweils in positiver und negativer Ausführung. Diese Extras können für Wegeleitsysteme als auch für andere Projekten gelegen kommen.

Dreiundsechzig Jahre nachdem sie das Licht der Welt erblickte, ist diese typografische Ikone der britischen Moderne wieder verfügbar. Ich möchte allen danken, die mir bei meinem Revival geholfen haben, allen voran Matthew Carter für seinen großzügigen Beitrag. Airport ist nun endlich in digitaler Form erhältlich und bereit zum Abflug. Ich bin gespannt zu sehen, wie sie in zeitgenössischen Projekten zum Einsatz kommen wird.

Quellen:

Photoscript: Photoscript Binder. London: Photoscript, n.d. [c.1965]
Photoscript: List of Typefaces 1970. London: Photoscript, 1970
Crosby/Fletcher/Forbes: A Sign Systems Manual. London: Studio Vista, 1970
Typeshop: Selection. Düsseldorf: Typeshop, 1973
Götz Gunnar Gorissen (ed.): Berthold Fototypes E1. München: Callwey, 1974
Sieghart Koch, Wolfgang Kruck, Hansjörg Stulle (ed.): Das Stulle-Buch mit Schriften für Überschriften, Schlagzeilen, Headlines und andere große Worte. Stuttgart: Layout-Setzerei Stulle GmbH, 1985
Computer Arts: Matthew Carter (interview). London, 2011. URL: https://www.creativebloq.com/computer-arts/matthew-carter-1118715
Heike Nehl, Sibylle Schlaich: Airport Wayfinding. Teufen: Niggli, 2021
Matthew Carter: persönliche Korrespondenz, 2024

Credits:

Schriftgestaltung, Recherche und Webseite: Lukas Schneider
Ergänzende Recherche und Texte: Florian Hardwig

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